Auf zur Bundeswehr - Ab ins Ferienlager!
So ungefähr lautete der O-Ton vieler Kameraden bei der ersten Dienstanreise zum 5. Panzergrenadierbataillon in Hagenow nahe Schwerin am 01. Juli 2008. Mit mir saßen ungefähr 200 junge Menschen im Zug, die nicht einmal ansatzweise erahnten, was in Zukunft auf sie warten würde. Die Bundeswehr ist ein Ferienlager - dieses Image ist in Deutschland weitverbreitet und existiert sicherlich auch vollkommen zurecht. Wie oft sieht man auf den Bahnhöfen Zivilisten in Uniform die in der einen Hand die Bierflasche und mit der anderen gerade telefonieren. Was macht man auch schon bei der Bundeswehr? Den ganzen Tag mit der Waffe umherlaufen und ein bisschen rumschießen - mehr nicht.
So oder Ähnlich stellten wir uns die nächsten neun Monate ebenfalls vor, doch wir konnten nicht wissen, das wir in einer Kaserne ankamen, welche einen unglaublichen hohen Stellenwert bei der Bundeswehr besitzt und als eine der härtesten Ausbildungsorte in ganz Deutschland galt.
Hier würden wir also innerhalb der nächsten drei Monate zu Panzergrenadieren ausgebildet werden. Zur Information: Panzergrenadiere sind die Soldaten, die an vorderster Front kämpfen und die Panzer beschützen - auf deutsch gesagt: Kanonenfutter. Wir erfuhren gleich am Tag der Anreise, dass wir auf dem Schlachtfeld eine Überlebenszeit von sieben Sekunden haben. Im Regelfall zünden wir die Panzerfaust, werden vom Feind aufgeklärt und im nächsten Moment liegen wir regunglos auf dem Schlachtfeld.
Ich bin mittlerweile knapp sechs Wochen bei der Bundeswehr in Hagenow und habe in diesem Zeitabschnitt schon so viel Elend und Leid gesehen, wie ich es bisher in meinen ganzen 18 Jahren nicht erlebt habe. Da siehst du junge Menschen mit 30 Kilogramm Gepäck auf dem Rücken plötzlich zusammensacken oder hörst jeden Abend das Anschläge auf deutsche Soldaten in Afghanistan verübt wurden und diese lebensgefährlich verletzt wurden. Man sieht Menschen, die körperlich so fertig sind, dass sie nicht einmal mehr fünf Liegestütze oder 50 Meter schwimmen können. Du schaust jeden Morgen in die Augen deiner Kameraden und erkennst, wie diese nach Pause und Schlaf betteln.
19 Stunden Ausbildung - fünf Stunden Schlaf - und das fünfmal in der Woche. Wir werden dazu gebracht, unsere Leistungsgrenzen zu erreichen und diese zu überschreiten, auch wenn wir uns dabei übergeben müssen oder gar zusammenbrechen. Die Bundeswehr ist kein Feriencamp - zumindest nicht in Hagenow. Wenn du denkst, es geht nicht mehr weiter, steht der Ausbilder neben dir und zeigt dir auf ganz besondere Art und Weise dass du deine körperliche Grenze noch lange nicht erreicht hast.
Du lernst, wie du im Dunkeln dein G36, die P8 und das MG3 zerlegst, zusammensetzt, lädst und im nächsten Augenblick den Feind anvisierst und abdrückst. Gefühle oder Emotionen sind unerwünscht, jahrelange Erziehung in der Schule oder gar zu Hause werden innerhalb weniger Wochen zu nicht gemacht. Es gibt kein Danke, kein Bitte, keine Entschuldigung...
Wir sind deutsche Soldaten, wir sind Panzergrenadiere, wir verteidigen unser Vaterland. Diese und ähnliche Sprüche werden dir jeden Tag eingeimpft und irgendwann bricht auch in dir der Widerstand, diesen Verbalsalat nicht zu glauben.
Am Wochenende fährst du nach Hause und sollst den Schalter so schnell wie möglich umschalten. Von Drall und lautem Schreien hinüber zum friedlichen und harmonischen Familienleben. Es ist nicht einfach, diesen Spagat zu gehen - aber er ist möglich. Er ist aber nur dann machbar, wenn man das, was man bei der Bundeswehr erlebt und lernt, nicht zu nah an sich heranlässt. Einige von uns haben es nicht geschafft. Ungefähr zehn Kameraden haben den Kriegsdienstverweigerungsantrag gestellt und sind bereits zu Hause - mit der Begründung: Sie halten den Druck bei der Bundeswehr nicht mehr aus - sie sind zu einem "psychischen Wrack" geworden.
Ich komme mittlerweile sehr gut mit den Verhältnissen in Hagenow klar. Mit der Zeit gewöhnt man sich an den TAgesablauf und auch an den kurzen Schlaf. Trotzdem gibt es immer wieder Tage, an denen du denkst: Jetzt reichts, ich will nach Hause!
So ging es mir auch letzten Freitag, als wir am Tag zuvor anderthalb Stunden in einem 12 Grad kühlen See bei strömenden Regen schwimmen waren. Nun sitze ich also zu Hause mit einer schweren Mandelentzündung und verpasse am Mittwoch den 12km-Marsch mit 30kg Gepäck und zwei Waffen, die insgesamt nochmal 15 kg schwer sind. Ich kann mir jetzt schon das Bild vorstellen, wer und wieviele an diesem Tag das Ziel nicht erreichen werden...
Bis demnächst!